PARKTHEATER: Walter Renneisen gratuliert zu 70 Jahren Hessen mit Hommage an einen rätselhaften Dialekt
Von unserem Mitarbeiter Thomas Tritsch
BENSHEIM. Runder Geburtstag, volles Haus: Anlässlich des 70. Landes-Jubiläums hat Walter Renneisen seine Hommage an die hessische Mundart erneut ausgebaut und verfeinert. Im ausverkauften Parktheater inszenierte der Schauspieler am Samstag einen Streifzug durch die kulturellen und sprachlichen Spezialitäten seiner Heimat.
Zwar wurde Renneisen im heute rheinhessischen Mainz geboren - doch erstens ist die Stadt ur-hessisch, und zweitens ist er seit mehr als 40 Jahren in Auerbach niedergelassen. Doch kennt der Künstler mehr als einen Dialekt: Sein Programm "Deutschland, Deine Hessen" ist eine seit vielen Jahren lebendige Abhandlung über den Hessen als solchen, seine ebenso mannigfaltigen wie rätselhaften Sprach-Varianten und angeborenen Eigenarten, die den schönen Künsten seit Jahrhunderten immer wieder charismatische Perlen serviert haben. Langer Applaus für das schönste Geschenk, das man diesem Land machen kann, das im September 1945 gegründet wurde und die älteste noch gültige demokratische Verfassung Deutschlands pflegt.
Kräftiger Bau, trotziger Blick
Der Name Hessen ist, so sagt man, die abgewandelte Form des Stammesnamens der germanischen Chatten, deren Siedlungsschwerpunkt im heutigen Nord- und Mittelhessen lag. Und auch diese starken Typen ließ Renneisen nicht unerwähnt. Über sie hatte bereits Tacitus in seiner Germania berichtet, dass diese Bergbewohner trainierte Körper, einen kräftigen Bau und trotzigen Blick hätten. "Für Deutsche haben sie viel Verstand", zitiert Renneisen den römischen Geschichtsschreiber.
Die Landschaft ist für den Schauspieler nicht bloß räumliche Kulisse, sondern auch einflussreiches Biotop der menschlichen Mikro-Evolution. Fasziniert entführt Walter Renneisen das gespannte Publikum in die erste Szene aus Georg Büchners "Woyzeck", wenn der Soldat mit seinem Kameraden Andres in klammer Szenerie in Wahnvorstellungen versumpft. Auch das Anti-Märchen mit dem bösen Ende kommentiert Renneisen als Weltliteratur aus Südhessen. "Das spiegelt die Apokalypse schlechthin. Genial!"
Es ist die Balance aus Hochkultur und Volksmund, Anekdoten und Gedichten in allen nur erdenklichen hessischen Mundartvariationen, was dem Programm seine Würze verleiht. Hessisches Kabarett in Reinform: intelligent und humorvoll, rasant und geistreich, musikalisch und biografisch.
Renneisen schlendert sicher durch das Hessenland. Er erörtert das tief gerollte R aus der Wetterau ("Kein Zufall, das Elvis hier gelandet ist"), den weichen Groove des Südens und die spezielle Vorliebe für Zischlaute, die sich der Hesse bereits im Zuge der Kontinentalverschiebung vor 50 Millionen Jahren angeeignet hat: Zwischen tektonisch bedingten Wasserlöchern und Geröllmassen ist auf einer geologischen Schutthalde ein Urlaut der menschlichen Kommunikation entstanden. "Wie ein Fahrradschlauch, der die Luft verliert." Daraus entstand, so Renneisen, eine sprachliche Eigenart, die in maximaler Kürze selbst komplexe Sachverhalte auf den Punkt bringt. "Eieieieiei", gelte in Hessen als vollwertiger Satz mit allen benötigten Zutaten.
Schon als kleines Kind kollidierte der Schauspieler, auf einem Bauernhof bei Raunheim groß geworden, mit den Konsequenzen sprachlicher Codes auf sozial fremdem Terrain. Seine etwas rustikale Frage nach dem "Abe" in vornehmen Hause erzeugte hörbare atmosphärische Störungen und eine frühe Verabschiedung: Der schädliche Einfluss des Dialektsprechers auf den hochdeutschen Nachwuchs sollte verhindert werden. In seinem Bühnenprogramm versammelt Walter Renneisen einige der schönsten hessischen Idiome, Gedichte und Sentenzen um was warme Lagerfeuer seiner Stimme: Friedrich Stoltzes "Wermsche uff'm Termsche mit'm Schermsche unnerm Ärmsche", Grimmelshausens dialektaler Germanistenschreck "Simplicissimus" oder überlieferte Kostproben der Brüder Grimm. Dazu gibt es Volkes Stimme in ungefilterter Form: "Eh isch misch uffresch, is mirs lieber egal!" zeigt philosophische Züge, während die Auskunft nach dem Abfahrtsgleis auf dem Darmstädter Bahnhof regelrecht groovt: " E naus, e niwwer, e nunner, un e noi!" Wenn der Hesse sagt "ich mach ins Bett" ist damit keineswegs ein anderes Bedürfnis außer dem des Ausruhens gemeint.
Von Beruf Affe
"De Schimpans" von Rudolf Dietz beschreibt einen Arbeitslosen während der großen Depression, der sein Geld als Affe im Frankfurter Zoo verdient und auf einen als Eisbär verkleideten Kollegen trifft. Köstlich ist Renneisens kleine Hommage an den hessischen AFN-Radiosprecher Werner Lamp, der "Cloudy Wesser in se Morning and matsch Sannschein in se Day" ankündigte. Musikalisch ging es auch in der zweiten Hälfte zu: Der Tausendsassa spurtete durch ein immenses Repertoire an Songs und Instrumenten, rockte am Piano und turnte hinter dem Schlagzeug herum. Aus der entbehrlichen Nachkriegszeit schlendert er in die Gegenwart, mahnt zu einer selbstkritischen Schnabelpflege und stimmt ein Loblied auf die deutsche Theaterkultur an, die es fleißig zu erhalten gelte.
Damit war der Bogen geschlagen zum Anlass des Konzerts: Mit der Benefizveranstaltung unterstützen die Stadt Bensheim und Walter Renneisen die Anschaffung einer Klimaanlage für das Speichertheater im AKG.
© Bergsträßer Anzeiger, Dienstag, 15.11.2016
SCHAUSPIELER SOLLEN KÜHLEN KOPF BEWAHREN
In dem 2005 zum Theater umgebauten Speicher des AKG proben und inszenieren die internen Theatergruppen vor rund 100 Zuschauern. Der Spielort wird vom Förderverein regelmäßig technisch fit gemacht. Zuletzt durch eine neue Lichttechnik. Durch das Engagement der gesamten Schulgemeinde sowie Förderern und Sponsoren kam das Projekt damals flott in die Gänge. Walter Renneisen ist einer der ausdauernden Unterstützer. Weil es in dem Raum im Sommer enorm heiß wird, vor allem auf der Bühne, ist der Einbau einer Klimaanlage geplant. Schulleiter Dr. Hans-Jürgen Boysen-Stern dankte dem Schauspieler für das Engagement: "Hier springt der Theaterfunke auf die Schüler über." tr
FREUDE ÜBER EIN AUSVERKAUFTES HAUS
Bensheims Bürgermeister Rolf Richter freute sich über ein ausverkauftes Haus. Aus Wiesbaden war der hessische Staatsekretär Thomas Metz (gebürtiger Lorscher) ins Parktheater gekommen. Er erinnerte an die älteste noch bestehende deutsche Nachkriegsverfassung. Am 1. Dezember 1946 nahmen die Bürger diese Verfassung an. Eine der ersten und größten Herausforderungen in den Nachkriegsjahren war die Aufnahme von bis zu einer Million Flüchtlingen und Vertriebenen aus den abgetrennten deutschen Ostgebieten. tr
