AKG-PRÄVENTIONSWOCHE: Dr. Thomas Rechlin referierte über Ursachen, Folgen und Therapie von Suchterkrankungen
BENSHEIM. "Alles wirkliche Leben ist Begegnung." So zitierte Dr. Thomas Rechlin, ärztlicher Direktor der Heppenheimer Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, in seinem Vortrag am AKG den Philosophen und jüdischen Gelehrten Martin Buber. Rechlin eröffnete mit seinem Referat die Präventionswoche am AKG.
Mit dem Zitat verwies er sowohl auf den in seiner Klinik praktizierten Therapieansatz als auch auf die Ursache der meisten psychischen Erkrankungen. Sie liegt vielfach in gescheiterten sozialen Beziehungen.
Hirnforschung: Wahrgenommen und gespeichert wird das alles durch unser Gehirn. Weil das so ist, ging Rechlin zunächst auf die Hirnforschung ein. Erst ein Zehntel, maximal ein Fünftel des Hirns werde bisher von den Forschern verstanden. Aber so viel wisse man: Schon im Mutterleib nimmt das werdende Kind den Stress der Mutter wahr, wodurch spätere Krankheiten - selbst Krebserkrankungen - vorprogrammiert seien. Auch erkenne man heute durch die bildgebenden Verfahren, wo im Gehirn die verschiedenen Aktivitäten, das Denken und Fühlen des Menschen gesteuert werden, so dass daraus auch Zusammenhänge sichtbar werden, von denen man lange Zeit nichts wusste.
Definition: Nach einem kurzen Überblick über Krankheiten und psychiatrische Teildisziplinen wandte sich Rechlin dem eigentlichen Thema des Abends, den Suchterkrankungen zu. Ein süchtiger Mensch sei kein suchender, sondern ein siechender, ein kranker Mensch. Er stecke in einem Teufelskreis, dessen Ausgangspunkt in der gestörten Selbstbelohnung zu finden ist.
Ursachen und Formen: Alle gelingenden Handlungen des Menschen setzen Dopamin frei, einen Botenstoff, der vor allem im mesolimbischen System, einem Teil des Gehirns, seine Wirkung entfaltet. Diese besteht in einem Zufriedenheits- oder Glücksgefühl. Der süchtige Mensch besorgt sich dieses Dopamin aber in Form von Drogen und belügt sich damit selbst.
Der stoffgebunden Süchtige tut dies durch Konsum von Alkohol, Nikotin oder illegalen Drogen, Halluzinogenen, Aufputsch- oder Beruhigungsmitteln. Der nicht-stoffgebunden Süchtige dagegen verbringt seine Tage und auch Nächte beim Glücksspiel, im Internet oder an der Spielkonsole.
Folgen der Sucht: Das Ergebnis dieser Sucht ist in vielen Fällen ähnlich. Außer der puren Abhängigkeit gehen die sozialen Kontakte verloren, man lebt in einer Scheinwelt. Viele Drogen, vor allem das zwar billige, aber besonders stark und schnell süchtig machende Crystal Meth, zerstören zudem den Körper des Menschen. Für die Beschaffung der Drogen nehmen die Süchtigen das Abgleiten in die Kriminalität oder soziale Verwahrlosung in Kauf.
Einstiegsalter: Zwar könne jeder Mensch süchtig werden, allerdings sei nicht jeder Mensch in gleichem Maße gefährdet. Die Suchtgefahr sei bei jungen Menschen am größten. Das Einstiegsalter für Nikotin und Alkohol, den beiden wichtigsten Einstiegsdrogen, liege bei knapp über zehn Jahren. Selbst Haschisch werde durchschnittlich schon mit 15 bis 16 Jahren erstmals konsumiert.
Arten der Sucht: Die Psychiatrie, aber auch andere therapeutische Einrichtungen verarbeiten die Folgen dieses Drogenkonsums. Ein Drittel der Betten der Heppenheimer Psychiatrie werde von Suchtkranken belegt, die meisten von ihnen Alkoholiker. Es gebe unter den Patienten aber auch eine große Gruppe von Konsumenten illegaler Drogen. Nach Einschätzung Dr. Rechlins ist Haschisch deutlich gefährlicher als zum Beispiel Alkohol, weil die durch diese Droge verursachten Psychosen in vielen Fällen nicht mehr therapierbar seien.
Therapie: Therapiert wird in Heppenheim auf verschiedene Weise. Üblicherweise aber komme nach der Entgiftung eine längere Entwöhnungstherapie, in der man versucht, alte Verhaltensweisen durch neue zu ersetzen.
Vorbeugung: Als Vorbeugung empfahl Rechlin die Resilienz, ein Verfahren, bei dem der Mensch sich gleichsam einen Schutzpanzer umlegt. Der besteht aber nicht aus schweren Waffen, sondern aus positiven Erfahrungen. Rechlin verwies dabei auf drei Schutzfaktoren: personale, familiäre und soziale Faktoren. Wenn der junge Mensch sowohl in der Familie als auch in seiner sozialen Umgebung positive Erfahrungen sammelt, ist er widerstandsfähiger gegen die Versuchung, Drogen zu konsumieren. red
© Bergsträßer Anzeiger, Montag, 01.02.2016
