Meist müssen Schülerinnen und Schüler an eine Universität oder ein Forschungsinstitut fahren, um in den Genuss wissenschaftlicher Fachvorträge zu kommen und zu erleben, wie gut sie dank ihrer Schulkenntnisse den Vorträgen folgen können. Im Rahmen der Veranstaltungen des 325-jhrigem Jubiläums des Alten Kurfürstlichen Gymnasiums (AKG) aber lud die Fachschaft Biologie zum 89. AKG-Forum Dr. Erin Tranfield in die neue Mensa, um hier in Benheim über die neuesten zellbiologischen Forschungsergebnisse zu berichten.
Die junge Kanadierin ist derzeit Postdoktorandin am European Molecular Biology Laboratory (EMBL) in Heidelberg. Das EMBL ist das europaweit führende Institut auf dem Gebiet der Molekularbiologie und dem AKG bereits seit 2006 in Kooperation verbunden, in dem es Schülerinnen und Schülern immer wieder die Begegnung mit aktueller Wissenschaft und vor allem den diese betreibenden Personen den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ermöglicht (wir berichteten).
Unter den zahlreichen dort beschäftigten Forscherinnen und Forschern hatten die Biologen des AKG Dr. Tranfield aus zwei Gründen ausgewählt: Zum einen ist sie eine sehr engagierte und mitreißende Rednerin mit einer spannenden Vita. So war sie nach ihrer Doktorarbeit über den Einfluss von Staubverschmutzungen in der Luft auf das Herzinfarktrisiko (University of British Columbia Vancouver, CND) für mehrere Jahre am Ames Research Center der NASA in Kalifornien beschäftigt, wo sie die Auswirkungen der lunaren Staubpartikel auf menschliche Lungen untersuchte.
Zum anderen ist ihr Thema, die Untersuchung der Zellteilungspindel, ein den Schülerinnen und Schülern ein seit Klasse 10 vertrautes Thema. Die Zellteilungspindel ist der Teil des Zellskeletts, der für die richtige Verteilung der Chromosomen bei der Zellteilung sorgt. Obwohl seit Jahren in allen Schulbüchern beschrieben und den Schülerinnen und Schülern bereits gut bekannt, gibt es immer noch ganz einfach Fragen, die niemand beantwortet hat. Zum Beispiel: wie viele Spindelfasern hat eine Mitosespindel eigentlich? Wie sind diese angeordnet: parallel oder antiparallel? Und schließlich: wie lange sind sie überhaupt?
Rund 120 Schülerinnen und Schüler und ihrer sie begleitenden Eltern staunten nicht schlecht, dass das, was so schön eindeutig in allen Büchern gezeichnet ist, noch gar kein vollständig gesichertes Wissen darstellt. Klar dient die Beantwortung dieser Fragen zunächst reiner Grundlagenforschung, aber trotzdem stellte das sehr interessierte Publikum die Frage, warum man das eigentlich wissen will. Dr. Tranfield verwies auf die Bedeutung der Zellteilung für alle Lebensprozesse und hob hervor wie weit wir noch Verständnis dieses Prozesses weg sind, wenn der so wichtige Apparat mal Fehler macht und Chromosomenfehlverteilungen oder gar Krebs die Folge sind. Hier ist die Hoffnung, dass sobald man diese Funktionen beim Gesunden verstanden hat, Therapieansätze für die Kranken gefunden werden.
Um vorzustellen wie sie diese Fragen beantworten will nahm Dr. Tranfield ihr Publikum auf eine Fototour in ihr Labor und zu ihrem mehrere Millionen Euro teuren Forschungsgerät, einem Elektronentomographen. Das ist eine Art 3D-Elektronenmikroskop, das der in den vergangenen Jahren als veraltet betrachteten Technologie der Elektronenmikroskopie zu neuer Blüte verhilft. Sehr detailliert illustrierte die Forscherin die vielen mühseligen und mehrere Monate dauernden Schritte von einem Krallenfroschei bis zur computeranimierten Darstellung dessen Zellteilungsspindel. Was den von Fantasy-3D-Computer-Anmiationen Verwöhnten unter den Zuhörern vielleicht dürftig erscheinen mochte, stellt doch - anders als die von Spieledesignern nach Belieben kreierten Strukturen - ein sehr genaues Abbild der Wirklichkeit dar, mit dem man tatsächlich Fragen beantworten kann.
Da es an diesem Abend aber nicht nur um die Wissenschaft selbst, sondern auch darum gehen sollte wie es sich anfühlt ein Wissenschaftler oder Wissenschaftlerin zu sein, plauderte Dr. Tranfield sehr offen aus dem Nähkästchen: Man wird selten reich, obwohl man sehr hart arbeiten muss und oft fühlt man sich auch einfach dumm. Zum Schmunzeln verleitete da der Verweis auf einen im Jahre 2008 im Journal of Cell Science erschienenen Essay über die Bedeutung der Dummheit für die wissenschaftliche Forschung. Trotz aller Schwierigkeiten würde sie aber jederzeit wieder diesen Weg gehen, da er ihr sehr viel Begegnungen mit Menschen in aller Welt ermöglicht hat und vor allem das unvergleichliche Gefühl zu erleben, als erster Mensch etwas neues beobachtet zu haben.
Befragt nach ihren Eindrücken nach dem Talk, zeigten sich viele der jüngeren Schülerinnen und Schüler selbst gerade noch am Anfang der Oberstufe erstaunt, wie gut sie dem Englisch folgen konnten und waren begeistert von der Kurzweiligkeit und der Offenheit der für sie überraschend jungen Wissenschaftlerin. Dies hatte man schon an den unglaublich vielen Fragen an die Rednerin nach dem Vortrag ablesen können, was wiederum diese überrascht hatte.
Ullrich Treubert-Zimmermann
